Redefin (Zeitschrift St.Georg/ Gabriele Pochhammer). Rolf Günther, der stellvertretende Leiter des Landgestüts Redefin, sagte Tschüss. Er war einer der erfolgreichsten Springreiter der ehemaligen DDR. Er blieb der Pferdemann, der aus dem Osten kam und so manches mitbrachte, was im Westen schon fast vergessen war. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, schrieb Hermann Hesse. Auch diesem. Es waren die Tage, in denen kein Hauch, sondern ein frischer Wind der Geschichte durch Deutschland wehte, in jenen Monaten nach dem November 1989, als die Berliner Mauer von begeisterten jungen Leute erklommen wurde und damit ziemlich bald feststand, dass es mit der DDR zu Ende gehen würde. Dass hinterher viele Hoffnungen schneller entzaubert wurden, als gedacht, steht auf einem anderen Blatt.
Aber ich erinnere mich noch gut, dass die ersten DDR-Reiter, die auf westdeutschen Turnieren auftraten, endlich ohne Ausreisebeschränkungen, mit offenen Armen aufgenommen wurden. Das Hallenturnier in Darmstadt machte den Anfang. Die erste Platzierung eines DDR-Reiters auf bundesdeutschem Boden nach 18 Jahren erritt Rolf Günther mit seinem Nachwuchspferd Kordes, vierter Platz in der kleinen Tour, damals 35 Jahre alt. Jetzt wurde der 65-Jährige stellvertretende Leiter des Landgestüts Redefin mit allen Ehren in den Ruhestand verabschiedet. Corona-bedingt nur im kleinen Kreis vor Ort aber doch vor vielen Fans, die auf ClipMyHorse der Hengstschau in Redefin zusahen.
Der gebürtige Sachse war kein unbeschriebenes Blatt, als er 1990 in Darmstadt einritt, sondern bereits in der DDR ein angesehener Pferdemann und erfolgreicher Reiter. Horsemanship liegt gewissermaßen in seinen Genen. „Mein Vater, mein Bruder, wir waren alle begeisterte Pferdeleute“, sagt er.
Im Vollblutgestüt Graditz verbrachte er seine Lehrjahre, wurde später Agraringenieur und leitete die Abteilung Tierzucht im VEG Mücheln. Dort wurde er einer der ersten Förderer des jungen Holger Wulschner. Zum Zeitpunkt der Wende hatte Rolf Günther bereits auf osteuropäischen Turnieren Große Preise gewonnen und 13 Nationenpreise in DDR-Farben bestritten. In Mücheln stand ein Stall voll talentierter Nachwuchspferde.
FN-Präsident Breido Graf zu Rantzau erinnert sich noch gut an gemeinsame Nationenpreisturniere. Schon damals fiel Günther durch sein feines Reiten, seinen hervorragenden Stil auf. Reiter hatten es in der DDR nicht leicht. Nach den Olympischen Spielen in Mexiko 1968 war Pferdesport aus dem Raster der staatlich geförderten Sportarten herausgefallen. Alles was zählte für die SED-Führung, waren Medaillen und damit taten sich die DDR-Reiter schwer, abgeschnitten von der internationalen Spitze. Es gab zwar auf den volkseigenen Zuchtbetrieben viele gut gezogene gesunde Reitpferde, von denen das Gros aber devisenbringend in den Westen verkauft wurde.
Der Reitsport in der DDR lebte von seinen grundsolide arbeitenden Reitern. Pferde, die nicht „funktionierten“ wurden nicht schnell weitergereicht und ersetzt, sondern so gut wie möglich ausgebildet, wobei man ohne das ganze Sammelsurium an Hilfszügeln und Gebissen auskommen mussten, die zu der Zeit schon in westlichen Ställen ihr Unwesen trieben. Man ist versucht zu sagen, Mangelwirtschaft hat auch ihr Gutes.
Rolf Günther war kein Widerständler. „Es ging uns in der DDR nicht so schlecht, wir konnten studieren und in Grenzen auch reisen“, resümiert er heute, „die Verhältnisse waren für uns normal.“ Er hatte sich im System eingerichtet. Dass man nicht einfach nach Hamburg zum Derby fahren konnte, damit hatte er sich abgefunden. „Aber dann war ich doch sehr froh über die Entwicklung“, sagt er heute.
Rolf Günthers Karriere war mit der Wende nicht zu Ende, sondern nahm erst richtig Fahrt auf. Der damalige Leiter des „Hengstdepots“ Redefin, Ingo Nörenberg, holte ihn nach Redefin, inzwischen wieder Landgestüt, zusammen mit Michael Thieme, dem Vater des internationalen Springreiters André Thieme. Die Aufgabe war riesig. Es galt nicht nur, sich westlichen Zuchtmaßstäben anzupassen, sondern sich in einer schnell verändernden Zucht-und Sportlandschaft zu behaupten, Probleme, die jedes Landgestüt kennt und die in Redefin höchst erfolgreich angepackt wurden. Günther übernahm die Leitung der neu etablierten Reit- und Fahrschule und später der Hengstleistungsprüfungen. Seine internationalen Verbindungen unter anderem nach Großbritannien und USA bewährten sich bei der Vermarktung und seine Kontakte zu den westlichen Hochzuchten verschafften Redefin so manchen guten Vererber, wie Cero v. Come on oder Carrico v. Catoki. Daneben ritt er selbst weiter erfolgreich im Sport, oft auf gestütseigenen Hengsten.
Mit dem Hengst Grabenstern I v. Grabensee-Juventus gewann er 2006 sein letztes S-Springen in Prussendorf. Der Braune, inzwischen 24 Jahre alt, wurde jetzt zu Günthers Abschied in die Bahn geführt. Er trug eine Decke mit der Aufschrift: „Lieber Rolf, Dank für 30 Jahre Landgestüt Redefin.“ Da wurde dann doch so manches Tränchen verdrückt, als die beiden eine letzte Ehrenrunde abschritten.
Aber weg vom Fenster ist Rolf Günther noch lange nicht. Er bleibt im Präsidium des Pferdesportverbandes Mecklenburg-Vorpommern und kann sich nun mit seiner Frau dem eigenen kleinen Reitbetrieb widmen. Zu tun gibt’s genug, denn gute Ausbilder gibt es nie bekanntlich zu viele. Und das Schöne am Pferdevirus: Dagegen kann man nicht impfen, er bleibt einem lebenslang erhalten.
Foto: Rolf Günther mit dem Hengst Grabenstern auf der Abschiedsrunde. © Jutta Wego